, Zeugenbericht

Melinda Nadj Abonji

1.   Warum engagierst du dich für TESORO?
Es ist notwendig, unsere verschütteten, verschwiegenen Geschichten aufzuspüren, sie zu sammeln, zu archivieren. 
Es ist notwendig, unsere Geschichten zu erzählen, die die Gesellschaft nicht hören will. 
Es ist notwendig, unsere Geschichten nicht nur zu erzählen, sondern sie auch genau zu analysieren. 
Es ist notwendig, sowohl uns Leidtragenden ein Gesicht und eine Stimme zu geben, als auch den Vollstreckern der Gewalt. 
Es ist notwendig, die Sprache als Bedingung zu verstehen, die Gewalt ermöglicht. 
Es ist notwendig zu erkennen, wie die Gewalt in die Struktur der Gesellschaft eingearbeitet ist. 
Es ist notwendig, über legalisiertes Unrecht zu sprechen, das Teil der gegen uns gerichteten Gewalt ist. 
Es ist notwendig die Frage zu stellen, ob eine Vergebung überhaupt möglich ist.

2.   Welche persönlichen Erfahrungen verbindest du mit den Anliegen von TESORO?
Als ich selber Mutter wurde, fragte ich mich, wie es wohl für meine Eltern war, jeden Tag auf mich und meinen Bruder zu warten, fast vier Jahre lang. Wir waren nicht zusammen, als ich meine ersten Gehversuche machte, mein Bruder sich in seine Kindergärtnerin verliebte. Je sehnsüchtiger meine Eltern auf Fotos warteten, desto verzweifelter und trauriger waren sie, als sie die zugeschickten Bilder in ihren Händen hielten. Wir waren von Gesetzes wegen voneinander getrennt worden; eine Behörde, die«Fremdenpolizei» hatte unser Familienschicksal besiegelt. Das schreibe ich jetzt. Weil ich das Wort ergreifen kann, die Akten gelesen und analysiert habe, dass meine Eltern versuchten, einen vorzeitigen «Familiennachzug» zu erreichen. Ihre Gesuche wurden abgelehnt. Und meine Eltern machten sich Vorwürfe. Phänomenal, wie reibungslos das funktioniert; mittellosen,rechtlosen Menschen wird ein Grundrecht verweigert, sie leiden, versuchen Lösungen zu finden. Und dann – die Wunden sind nicht verheilt – suchen sie die Schuld bei sich. Unglaublich. Diese verkehrte Welt muss endlich aufhören.

3.   Was wünschst du dir für die zukünftigen Generationen?
Unsere Kinder – ihre Kinder.
Unsere Familien – ihre Familien.

Wenn dieses Denken überwunden ist, hat die Zukunft begonnen, die Verwirklichung der Menschenrechte.